Diesen Satz haben viele Patienten mit chronischen Krankheiten sicherlich schon oft gehört. Und chronische Krankheiten, die allgemein als unheilbar gelten, gibt es viele und sie betreffen viele Menschen. Doch ist das so mit dem "unheilbar" oder könnte mit den heute vorhandenen Therapiemitteln vieles schon längst geheilt sein, wenn man interdisziplinäre Scheuklappen zwischen Allgemeinmedizin und Alternativmedizin entfernt? Die Alternativmedizin wird häufig als wissenschaftlich nicht bewiesener Humbug hingestellt. Warum ist das so, was kann Alternativmedizin wirklich und wie evident, stimmig und aussagekräftig ist die Hochschulmedizin eigentlich selbst? Hier geht´s zu einem Faktencheck ...
Dank der medizinischen Fortschritte der letzten Jahrzehnte werden wir zwar alt, aber nicht wirklich gesund! Wer heute in Deutschland zur Welt kommt, wird statistisch knapp 81 Jahre alt und verbringt davon ein Viertel seines Lebens bei „selbst wahrgenommener, lang andauernder, gesundheitlicher Einschränkung bei üblicherweise ausgeübten Tätigkeiten“. Dabei sind Menschen in Pflegeheimen bei der Statistik EU-SILC "Gesunde Lebensjahre" noch nicht einmal berücksichtigt!
Die Stärke der Allgemeinmedizin liegt darin zu helfen, wo unser Organismus dazu selbst gerade nicht in der Lage ist. Damit kann man wunderbar Leben retten und unser Leben verlängern. Aber in puncto Lebensqualität, Symptomfreiheit, Unabhängigkeit von Arzneimitteln und deren Nebenwirkungen haben wir die letzten Jahrzehnte kaum Fortschritte gemacht. Das darf besser werden! - was durch therapeutische Einbindung der auf "Hilfe zur Selbsthilfe" ausgerichteten Komplementärmedizin ohne weiteres möglich sein sollte.
Weitere Folgen aus dem "Älter, aber nicht wirklich gesund werden" sind explodierende Kosten im Gesundheitswesen und eine stark belastete Ärzteschaft, von der demografisch bedingt 1/3 die nächsten 5 Jahre in Rente geht. In der Psychotherapie beträgt die durchschnittliche Wartezeit bereits heute 6 Monate. Der demografische Wandel wird dies in den nächsten 10 - 15 Jahren noch dramatisch forcieren. Wie lange die medizinische Versorgung unserer alternden Gesellschaft unter diesen Umstände noch vernünftig gewährleistet werden kann, darf in Frage gestellt werden. Unser Gesundheitssystem steuert auf große Herausforderungen zu. Eine therapieübergreifende Herangehensweise wäre in dieser Hinsicht ein vielversprechender Lösungsansatz.
In Deutschland hält sich der Staat größtenteils aus der medizinischen Forschung heraus - die Hauptlast der Kosten für medizinische Forschung und Entwicklung trägt die Wirtschaft. Dass Pharmaunternehmen keine Studien zur Wirksamkeit von Homöopathie & Co. fördern ist mehr als verständlich - es wäre aus deren Sicht ein wirtschaftlicher Knieschuss! Naturheilmittel sind zudem nicht patentierbar und viele Verfahren wie EFT, EMDR, Hypnose erfordern keinerlei Arznei, womit sich also nichts verdienen lässt.
Von den vergleichsweise geringen Mitteln, welche die öffentliche Hand selbst in medizinische Forschung steckt, gehen derzeit weniger als 1 % in die Erforschung der Naturmedizin. Wissenschaftliche Studien sind sehr teuer. Die Struktur der Naturheilkunde und Alternativmedizin besteht hauptsächlich aus einzelnen Therapeuten oder kleinen Arzneimittelherstellern, die sich keine Studien leisten können. Viele der mehr als 150 alternativmedizinischen Therapieverfahren bleiben deshalb wissenschaftlich gänzlich unbeleuchtet. Das viel zitierte Argument: "wissenschaftlich nicht bewiesen" sagt deshalb nicht aus, dass etwas nicht wirkt, sondern lediglich, dass sich bisher kaum jemand die Mühe gemacht hat zu untersuchen, ob und warum etwas Alternativmedizinisches wirkt!
"Dass viele alternativmedizinische Verfahren wissenschaftlich nicht bewiesen sind, liegt wohl zu einem Gutteil daran, dass sie wissenschaftlich kaum untersucht wurden!"
Die Mehrzahl der wissenschaftlichen Studien basiert auf deutlichen bis massiven Interessenskonflikten! Laut Leitlinienwatch werden aktuell* nur 21 % von 145 untersuchten Leitlinien der AWMF in puncto Interessenskonflikten als gut eingestuft. Der Durchschnitt liegt bei 7 Punkten von 18 - unter 6 Punkten sieht Leitlinienwatch Reformbedarf. Bei den untersuchten Studien der ESC (Europäische Gesellschaft für Kardiologie) wurden gar alle 11 Studien bei einem Median von 3 Punkten als reformbedürftig eingestuft. Reformbedarf heißt: Die Studie sollte so nicht verwendet werden, denn unsere Ärzte in Deutschland richten sich daran, in gutem Glauben an die Wissenschaft.
*Stand 10.05.2021
Interessenskonflikt heißt: Auf das Studienergebnis haben Wissenschaftler Einfluss, die gleichzeitig z.B. in Form von Beraterverträgen auf der Gehaltsliste des Unternehmens stehen, das großes Interesse an einem positiven Ergebnis der Studie hat. Ein entwickeltes Arzneimittel nicht auf den Markt zu bringen, bedeutet für Unternehmen große Verluste.
"Wenn mehr als 80 % der medizinischen Studien unter wirtschaftlichen Interessenskonflikten entstanden sind, müsste man da eigentlich nicht den Großteil der bisherigen Forschungsergebnisse nochmal neu und sauber aufsetzen, anstatt einfach weiter auf dieser Basis zu therapieren? Oder sollte man sich weiterhin vertrauensvoll mit diesen Medikamenten behandeln lassen. Wird schon alles gut sein!"
Der sogenannte Publikationsbias in der Wissenschaft besagt, dass Studien mit positiven Ergebnissen bevorzugt veröffentlich werden – negative Ergebnisse fallen meistens unter den Tisch, was die
Gesamtinterpretation erheblich verzerrt. Man kann in Studien verschiedene Parameter beleuchten: Z.B. kann man bei einem Diabetesmedikament auswerten, ob es den Blutzucker senkt (Studie A anhand
sogenannten Surrogatendpunkten). Man kann aber auch beleuchten, ob das Medikament bei wichtigen Gesundheitsparametern wie der Lebenserwartung (Studie B anhand klinisch relevanten Endpunkten)
Verbesserungen bewirkt. Wenn Studie B in puncto verbesserte Lebenserwartung negativ ausfällt und im Zulassungsverfahren keine Beachtung findet, dann haben wir in diesem vereinfachten Beispiel
eine Arznei mit Nebenwirkungen, die nur auf einen Laborparameter wirkt, aber effektiv nicht bei unserer Gesundheit ankommt. Das scheint leider kein Einzelfall zu
sein.
Ben Goldacre, britischer Arzt und Mitbegründer von ‚All Trials‘, bezeichnet den Publikationsbias als den ‚Krebs der evidenzbasierten Medizin‘
Es gibt zahlreiche Studien über die Wirksamkeit von Homöopathie & Co., es gibt deutlich weniger Studien, bei denen keine Wirksamkeit nachgewiesen wurde (aber das gibt es auch en masse bei der Hochschulmedizin - siehe Publikationsbias). Die Frage ist auch, inwiefern Standards in der wissenschaftlichen Herangehensweise 1:1 auf alternativmedizinische Verfahren angewandt werden können. Wie das folgende Beispiel einer Metastudie über Bachblüten zeigt, muss auch infrage gestellt werden, ob in Forschungsinstituten in jedem Fall ausreichend Know-how vorhanden ist, um komplementärmedizinische Verfahren zu untersuchen.
Beispiel Metastudie über Bachblüten:
In einer Metastudie über Bachblüten wurde alles zusammen getragen, was bis Juni 2008 an Studienmaterial gefunden werden konnte. Aus 181 Artikeln, Studien und Erfahrungsberichten entsprachen nur 4 RCT-Studien halbwegs einer evidenzbasierten Herangehensweise. Bei 3 dieser 4 Studien wurde Studenten die Bachblütenmischung Rescue Remedy verabreicht mit dem Ziel Prüfungsängste zu mildern. Die Crux an der Sache ist: Die wichtigsten Bachblüten für Prüfungsängste, nämlich Elm (Überforderung, Black out) und Larch (Lampenfieber; Angst zu versagen) sind in dieser Mischung nicht enthalten! So verwundert es kaum, dass bei der Studie herauskam: Bachblüten erzeugen zwar einen beachtlichen Placeboeffekt, aber wirken nicht besser als Placebo!
Die Qualität der wissenschaftlichen Herangehensweise an das Potenzial der Bachblütentherapie kann man in etwa damit vergleichen: Man versucht mit einem Gabelschlüssel an einer Kreuzschlitzschraube zu drehen und stellt fest, dass das nicht geht. Anschließend kommt man zu dem logischen Ergebnis, dass Gabelschlüssel für Kreuzschlitzschrauben nicht geeignet sind und somit deren Nutzen wissenschaftlich nicht bewiesen ist. Gabelschlüssel gelten ab nun als ungeeignetes Werkzeug und jeder, der Gabelschlüssel verwendet, wird belächelt oder gar angefeindet, weil er nicht nach evidenzbasierten Kriterien arbeitet! Und obwohl die Meta-Studie von 2009 zudem laut den Autoren mangels wissenschaftlich verwertbarem Material wenig bis sehr wenig Aussagekraft hatte, wurde die Bachblütentherapie danach in der medizinischen Fachwelt als alternativmedizinischer Humbug in der Luft zerrissen und führt seit 2009 ein medizinisches Schattendasein.
"Stell dir vor, es gibt einen Werkzeugkasten mit mehr als 150 verschiedenen Werkzeugen. Die oberste, offizielle Autowerkstatt bestimmt, dass davon nur 10 Werkzeuge benutzt werden sollen, weil der Nutzen der anderen Werkzeuge nicht bewiesen ist. Sobald jemand behauptet, andere Werkzeuge wären nützlich, verweist die offizielle Werkstatt eindringlich darauf, dass diese nicht bewiesen sind. Die Werkstatt verfasst Leitlinien zur Reparatur von Autos mit 10 Werkzeugen, an die sich andere halten sollen. Auf die Frage hin, warum die anderen Werkzeuge nicht untersucht werden, erhält man den Hinweis: Das macht keinen Sinn, weil deren Nutzen wissenschaftlich nicht bewiesen ist."
Status quo der Medizin im Jahr 2021
In medizinischen Leitlinien erhalten Ärzte und Angehörige aller Gesundheitsberufe Informationen darüber, was gerade als Standard einer angemessenen Gesundheitsversorgung angesehen wird. Leitlinien werden von der Bundesärztekammer, Kassenärztlichen Bundesvereinigung und AWMF (Arbeitsgemeinschaften der Wissenschaftlichen Medizinischen Fachgesellschaften e.V.) ausgegeben. Problem ist:
Es gibt die Schulmedizin, die Naturheilkunde und rund 150 Therapieverfahren der sogenannten Alternativmedizin. Standardmäßig wird Patienten aus dieser bunten Vielfalt nur die Schulmedizin angeboten.
Bei chronischen Krankheiten gibt es 9 Therapieebenen, die in puncto Ursachen, Symptombeseitigung oder zielführenden Therapieimpulsen gesundheitsrelevant sein können. Betrachtet man nebenstehende Übersicht der Therapieebenen, so verwundert es kaum, dass die Ergebnisse bei der Heilung chronischer Krankheiten äußerst durchwachsen sind. Schließlich ist es allgemein üblich, lediglich auf einzelne Therapieverfahren und damit einzelne Therapieebenen beschränkt zu arbeiten.
Doch um die Vielfalt der Medizin nutzen zu können, stellt sich die Frage: Wer kann was und wann am besten zu wem? Wir brauchen deshalb:
Moderne Gesundheitswelt, Die Medizin der Zukunft